Mittwoch, 18. November 2009

über die innere Struktur gesellschaftlicher Machtverhältnisse

Die gewöhnliche Ansicht ist, wenn von gesellschaftlichen Machtverhältnissen die Rede ist, sofort geneigt, zu einem zweipoligen Schema zu greifen: auf der einen Seite diejenigen, die Macht haben und ausüben und auf der anderen Seite diejenigen, die keine Macht haben und über die Macht ausgeübt wird. Gesamtgesellschaftlich führt dieses Schema zur Vorstellung einer hierarchischen Gliederung, aus der sich die vielschichtigen Machtverhältnisse erklären lassen. Aber diese Ansicht verkennt die wesentliche innere Struktur der Macht. Sie sieht bloß Gewaltverhältnisse, also die systematische Verteilung der Gewaltausübung. Die Machtstruktur ist dadurch ganz und gar nicht zu verstehen.

"[Macht ist] keine Sache, die man innehat, kein Eigentum, das man überträgt; sondern eine Maschinerie, die funktioniert. [...] Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert; die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht."
(Michel Foucault, Überwachen und Strafen)

Will man die innere Struktur von Machtverhältnissen verstehen, dann muss man sich der Weise zuwenden, wie sie wirkt. Die Fähigkeit zur Unterdrückung erweist sich als bloße Gewalt, der sich Menschen entweder beugen, sie wenigstens dulden, oder aber sich dagegen auflehnen können; während es der Macht wesentlich ist, eine stabile Kräfteverteilung zu schaffen. Nicht Akteure haben also Macht, sondern Macht ist ein wesentliches Moment der Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren.

"Der Grund dafür, daß die Macht herrscht, daß man sie akzeptiert, liegt ganz einfach darin, daß sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert; man muß sie als ein produktives Netz auffassen, das den ganzen sozialen Körper überzieht und nicht so sehr als negative Instanz, deren Funktion in der Unterdrückung besteht."
(Michel Foucault, Dispositive der Macht)

Nur dort, wo leibliche Wesen sich von bestimmten, herrschenden Denkordnungen etwa in Gestalt von Scham-, Schuld-, Angst-, aber auch Stolz- und Eitelkeitsempfindungen affizieren lassen, kann Macht walten. Die eigentliche Maschinerie der Macht geht also aus der Wirkungsweise der den öffentlichen Diskursen zugrunde liegenden Denkordnungen hervor. Sie stiftet allererst den Spannungshalt der bestehenden Kräfteverhältnisse. Die Stabilität dieser Kräfteverteilung ergibt sich im Wesentlichen aus der Vorborgenheit des Selbstverständlichen, Unsagbaren und daher das Denken, Verstehen und Wahrnehmen ursprünglich Ordnenden. Daher schreibt Foucault:

"Die Erfahrung, die es uns gestattet, bestimmte Mechanismen zu verstehen [...] und die Weise, in der wir fähig werden, uns von ihnen zu lösen, indem wir sie mit anderen Augen wahrnehmen, sind nur die beiden Seiten derselben Medaille. Dies ist in der Tat das Herz meines Unternehmens."
(Michel Foucault, Der Mensch ist ein Erfahrungstier)


(Bild: Michel Foucault)

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