Samstag, 21. November 2009

Das Märchen von der ›unsichtbaren Hand‹

Es war einmal ein alter Schotte, der sich nach einer langen wissenschaftlichen Karriere und diversen Bildungsreisen dazu veranlasst fühlte, seine über die vielen Jahre erworbenen Einsichten in einem bedeutenden Werk niederzuschreiben. Er hatte reichlich Erfahrung auf dem Felde, das er zu bearbeiten beabsichtigte, und so dauerte es nicht lange, bis er das Werk mit dem eingehenden Namen: "An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations" schließlich fertig stellte und die letzte Seite stolz mit seinem Namen unterschrieb: Adam Smith.

Selbst viele Jahre nach seinem Tod war das Werk noch bekannt und berühmt. Vor allem aber sprachen viele Völker ehrfurchtsvoll von der sagenumwogenen "unsichtbaren Hand", die in diesem Werk verborgen lag. Man betrachtete sie als Heilsbringer der wirtschaftlichen Systeme, die immer wieder durch Chaos und zu strenge staatliche Regulierungen verunsichert wurden.
In "Der Wohlstand der Nationen", wie man das Werk Smiths in deutschsprachigen Gefilden nannte, unterschied Smith nämlich den sog. natürlichen vom tatsächlichen Preis, und er versuchte durch diese beiden wesentlichen Größen den Prozessen des heiligen MARKTES, des einen Gottes moderner Zivilisationen, einen höheren Sinn zu verleihen. MARKT ist der Mythologie nach zwischen den beiden transzendenten Prinzipien von Angebot und Nachfrage hin und her gerissen. Ständig stehend auf dem tatsächlichen Preis, strebt er in innerer Zerrissenheit zwischen Angebot und Nachfrage, einmal mehr hier und einmal mehr dort sich labend, stets dem natürlichen Preis entgegen, welcher im Herzen des Gleichgewichtszustands, dem ewigen Equilibrium, ruht.
Um diesen heiligen Naturzustand nicht zu verändern oder zu untergraben, ist es der Priesterschaft des MARKTES, dem sog. Staat, strikt untersagt, aktiv in diese Prozesse einzugreifen; gleichwohl sie aber angehalten ist, stets dafür zu sorgen, dass der öffentliche Wettbewerb stets belebt und niemals ruhend ist. Denn freier Wettbewert ist das heilige Karma des großen MARKTES und nur durch dieses, kann der MARKT bestehn.
Über alledem aber -- so glaubte man! -- wacht das eine Prinzip: die allmächtige "unsichtbare Hand", und da diese stets Wache hält, kann dem heiligen MARKT, wenn er nur frei agieren kann -- niemals ein Leid geschehen.

... zu blöd, dass die Heilige Schrift des Adam Smith nicht genau gelesen wurde, denn die "unsichtbare Hand" war für das Wachen über den MARKT niemals vorgesehen! Sondern worüber sie wachte, und was sie steuerte, war eine völlig andere, eine ethische, keine wirtschaftliche Sache! Smith stellte in seinem Werk nämlich die These auf, dass das Wohl der Allgmeinheit besser dadurch befördert werden könne, wenn jeder nur sein eigenes wirtschaftliches Wohl zu befördern suchte, als wenn er versuchte, darüber hinaus auch noch das Allgemeinwohl zu fördern. Der gezielte Versuch, das Allgemeinwohl zu fördern sei wenig produktiv; da aber jeder, indem er nur seinen eigenen Reichtum im Sinn habe, auch die Produktivität der Allgemeinheit befördert, wirke sich das private, ungehemmte(!) Wirtschaften auf dem freien Markt positiver auf das Allgemeinwohl aus, als ein gezieltes Unternehmen dies je zustände bringen könnte.

"Er [Der Mensch] wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat."
(Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen)

Lange Zeit noch glaubten und verkündeten viele Menschen dieses Märchen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute ...

(Bild: Adam Smith)

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